Fundus trifft Familiengeschichte – Birgit Missal über das Kostümbild von Amrum
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Fundus trifft Familiengeschichte – Birgit Missal über das Kostümbild von Amrum

Das historische Drama “Amrum” (Regie: Fatih Akin, Kinostart: 09.10.2025) basiert auf der Kindheit des Autors, Schauspielers und Regisseurs Hark Bohm. Das Kostüm spielt hier eine zentrale Rolle: Es verortet die Figuren nicht nur in Raum und Zeit, sondern erzählt auch von Herkunft, Identität und Überleben. Kostümbildnerin Birgit Missal, die schon lange mit Hark Bohm zusammenarbeitet, spricht im Interview über familiäre Recherche, Strickmode als Stilmittel – und die besonderen Herausforderungen des Wattenmeers.

Wie bist du zu Amrum gekommen?

Birgit Missal: Ich bin Hark Bohm seit vielen Jahren sowohl familiär als auch beruflich eng verbunden. Mein erstes Kostümbild habe ich 1987 für seinen Film Yasemin entworfen. Als Amrum – Harks Herzensprojekt – nun endlich realisiert wurde, war für mich sofort klar: Ich möchte unbedingt dabei sein. Dass das möglich wurde, verdanke ich Harks langjährigem Freund Fatih Akin, der die Regie übernommen hat.

Welche Rolle spielte die familiäre Verbindung zur Geschichte bei deiner Arbeit?

Birgit Missal: Ich kenne seine Familiengeschichte seit Jahren. In Harks Wohnzimmer hängen die Porträts seiner Vorfahren – Seefahrer, Kapitäne. Ich durfte in alte Fotoalben schauen, konnte auf der Insel in den Archiven von Familien stöbern, die seit Generationen dort leben. Die Recherche war dadurch sehr unmittelbar und persönlich.

Wie hat sich das in der Gestaltung niedergeschlagen?

Birgit Missal: Das zeigt sich in der Detailtiefe. Strickmode war ein zentrales Thema – damals wie heute wurde auf der Insel viel selbst gemacht. Wir haben aufwendig gestrickte Teile nachgefertigt, manche in Babelsberg, andere bei spezialisierten Werkstätten. Die Stücke sollten aussehen, als wären sie aufgetrennt und wiederverwendet worden, so wie es die Menschen damals gemacht haben.

Welche besonderen Herausforderungen gab es beim Dreh?

Birgit Missal: Die größte Herausforderung war das Wattenmeer – die Tide bestimmte alles. Sicherheit ging vor: Bei riskanten Szenen haben wir mit Doubles gearbeitet.

Wie wurde der Kostümfundus Babelsberg dabei eingebunden?

Birgit Missal: Für die Erwachsenenrollen, Komparsen, Flüchtlingsdarstellungen und Berufsgruppen wie Bäcker, Arzt oder Schlachter war der Fundus eine wahre Fundgrube. Auch Uniformteile haben wir dort recherchiert – unterstützt von meiner Assistentin Nanette Schwarz, die auf historische Uniformen spezialisiert ist. Die Zusammenarbeit mit dem Team vor Ort war sehr angenehm und hilfreich.

Wie genau hat der Kostümfundus Babelsberg bei den Kinderkostümen unterstützt? Es mussten ja zusätzlich welche für Doubles angefertigt werden.

Birgit Missal: Beim Dreh mit Kindern gibt es strenge Zeit- und Sicherheitsauflagen. Für riskantere oder körperlich anstrengende Szenen setzt man deshalb Doubles ein – in unserem Fall waren das zierlich gebaute Frauen. Das bedeutete: Jedes Kinderkostüm brauchten wir mehrfach, in unterschiedlichen Größen. Da Strick auf Amrum damals allgegenwärtig war, haben wir den Kostümfundus Babelsberg gebeten, spezielle Strickteile nachzufertigen. Diese wurden dort passgenau angefertigt, sodass wir für Originaldarsteller und Doubles identische Outfits hatten.

Gab es Reaktionen auf das Kostümbild – zum Beispiel beim Festival in Cannes?

Birgit Missal: Ja, das Feedback war sehr positiv. Viele haben die stillen, aber kraftvollen Bilder gelobt – und das Kostüm wurde mehrfach als Teil dieser Bildkraft hervorgehoben. Das freut mich natürlich sehr.

Gab es eine Figur, deren Verwandlung dich besonders bewegt hat?

Birgit Missal: Diane Kruger spielt eine friesische Bäuerin. Sie hat sich tief in die Rolle eingearbeitet – sogar (wie alle Schauspieler der Produktion) Öömrang, die friesische Sprache von Amrum gelernt. Ich glaube, das Kostüm hat ihr sehr geholfen, diese Rolle zu verinnerlichen. Auch Maske und Patina waren dabei entscheidend. Sie hat körperlich gearbeitet im Film. Und das sollte man sehen.

Wie eng war die Zusammenarbeit mit anderen Departments?

Birgit Missal: Besonders zu Beginn haben wir im Studio in Hamburg alle unter einem Dach gearbeitet – Szenenbild, Maske, Kostüm. Das war ideal für den Austausch. Auch beim Außendreh auf Amrum war die Abstimmung wichtig – gerade wegen der wechselnden Wetterverhältnisse.

Wie wichtig ist für dich der Aspekt Nachhaltigkeit im Kostümbild?

Birgit Missal: Sehr wichtig. Ich arbeite bewusst mit vorhandenen Stücken und schätze gut erhaltene Originale. Gerade im historischen Film ist es nachhaltiger, vorhandene Stücke zu nutzen, statt alles neu zu produzieren. In der Gegenwartskostümierung muss man Produzent:innen aber manchmal noch stärker sensibilisieren.

Gibt es ein Kostüm oder eine Szene in Amrum, die dir besonders am Herzen liegt?

Birgit Missal: Nicht ein einzelnes Stück, sondern eher der Mikrokosmos, den der Film erzählt – diese Gemeinschaft auf der Insel, diese Typen: der Bäcker, der Inselarzt, der Amerikaner (gespielt von Detlev Buck), der wiederkommt. Ich kenne solche Figuren aus meinem eigenen Leben, meine Mutter lebt auf Sylt. Diese Welt darzustellen, das war mir wichtig – und das ist auch gelungen, finde ich.